Warnte davor, die Erfolge der Inklusion klein zu reden: Dr. Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes
Seine Kritik an einer Zulassung von "nichtinvasiven Pänataltests" als Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen hat der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Dr. Peter Neher, am Donnerstag, 6. Juni, in Hannover erneuert.
Der sogenannte "Präna-Test" lasse die Eltern in vielen Fällen "ratlos und mit vielen Befürchtungen zurück", mahnte der Hauptredner beim diesjährigen niedersächsischen Tag der Caritas-Behindertenhilfe. Durch eine Blutuntersuchung von Schwangeren kann dabei beispielsweise auf ein Downsyndrom des ungeborenen Kindes geschlossen werden.
Eine Kostenübernahme könne eine Dynamik auslösen, wonach grundsätzlich "Embroys mit Auffälligkeiten das Recht auf Leben abgesprochen wird", warnte Neher vor rund 130 Zuhörern aus ganz Niedersachsen im Hannoveraner Stadtteilzentrum ‚Krokus‘. Bereits jetzt werde die überwiegende Mehrheit der Schwangerschaften abgebrochen, bei denen die Diagnose einer Behinderung vorliege.
Sich im Blick auf die Inklusion nicht entmutigen lassen: Dazu hat Neher sowohl Mitarbeitende der Behindertenhilfe als auch Betroffene aufgerufen. Schädlich sei es, die Errungenschaften der Inklusion zehn Jahre nach ihrer Einführung klein zu reden. Vielmehr handle es sich um eine "Zielperspektive". Auch wenn das wissenschaftliche Fazit nicht eindeutig ausfalle, sei auf dem Weg zur Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung einiges erreicht worden.
Neher: "Ich glaube, dass sich Inklusion gesamtgesellschaftlich betrachtet sogar finanziell lohnt." Voraussetzung sei jedoch, dass sich alle verändern müssten. "Das tut auch den sogenannten Nicht-Behinderten gut." Inklusion sei dabei kein Selbstläufer, so der Caritas-Präsident. Zudem stünde sie aktuell nicht auf Platz eins der politischen Agenda.
Ernüchternd seien die Erfahrungen im Blick auf Inklusion am Beispiel Schule: In keinem Bundesland seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Schaffung von inklusiven Schulen abschließend entwickelt worden, zitierte Neher eine Studie. In Baden-Württemberg würden nur noch 56 Prozent der Lehrer inklusiven Unterricht als sinnvoll bezeichnen. 2015 seien dies noch zwei Drittel gewesen.
Neher hingegen ist überzeugt, "dass ein inklusives Schulsystem kein zum Scheitern verurteiltes Projekt ist". Vielmehr brauche es die passenden Rahmenbedingungen und die Bereitschaft sowohl der Politik als auch aller Beteiligten.
Dass das Bundesteilhabegesetz nicht zu einem "Spargesetz" verkommen dürfe, mahnte der Vorsitzende der Caritas-Arbeitsgemeinschaft der niedersächsischen Behindertenhilfe, Direktor Dr. Gerhard Tepe (Vechta), an. Auch fehlten den Betroffenen häufig die notwendigen Informationen, beispielsweise die Übersetzung in einfache Sprache.
Sechs Workshops schlossen sich am Nachmittag an: Etwa zur Frage, wie man ehrenamtlicher Peer-Berater wird. Weiteres Workshop-Thema waren Möglichkeiten der Digitalisierung in der Betreuung und Pflege von behinderten Menschen. Ihren aus Ton selbst gestalteten Kreuzweg hat die körperlich schwer behinderte und im Rollstuhl sitzende Marion Tapken aus Garrel vorgestellt.
Über "Kompetenzorientierung als Schlüssel zu inklusiver Bildung" sprachen Julia Albrecht, Isabell Veronese und Samuel Wunsch vom ‚Institut für Inklusive Bildung‘ in Kiel.
Veranstalter war die Caritas-Arbeitsgemeinschaft der Caritas-Behindertenhilfe in Niedersachsen. Insgesamt gibt es 189 Einrichtungen mit rund 12.000 Plätzen und 5.300 Mitarbeitenden.